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Radlose Frauen

27.10.2013

GASTBEITRAG von Irmeli Rother

Vor nicht allzu langer Zeit gingen Meldungen über protestierende saudiarabische Frauen durch die Medien. Die Frauen setzten sich ans Steuer  -  natürlich verschleiert  -  und ließen sich bei der Autofahrt filmen. Die Filme verbreiteten sich dann blitzschnell über das Internet. Mir war es schon vorher bekannt, dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren dürfen, sie dürfen das Haus ohne männliche Begleitung nicht verlassen. Das hatte mir vor ein paar Jahren eine schwedische Bekannte erzählt, die mit ihrem Ehemann und mit drei Kindern fünf Jahre in Saudi-Arabien lebte. Aber dass kleine Mädchen nicht mal Fahrrad fahren dürfen, war mir neu. Das Fahrradfahren schädigt die Eierstöcke der werdenden Frauen, lautet die Begründung dafür.

© Razor Film
Im ersten in Saudi-Arabien entstandenen Spielfilm Das Mädchen Wadjda tauchten wir in einen für mich unvorstellbaren Alltag ein. Es herrscht eine strikte Geschlechtertrennung in allen Lebensbereichen, was schon das Leben der kleinen Mädchen bestimmt.

© Razor Film
Doch die aufgeweckte Wadjda sucht ihren Weg im Rahmen des Möglichen. Sie versucht sich durchzusetzen und zeigt dabei viel Kreativität und Einfallsreichtum. Auf der Dachterasse übt sie mit dem  Fahrrad des Nachbarsjungen. Ihr sehnlichster Wunsch ist ein eigenes Fahrrad.

© Razor Film
Sie träumt den Freund beim Wettrennen zu schlagen. Um das Geld zusammen zu bekommen sind ihr alle Mittel recht. Sie verkauft ihren Mitschülern Freundschaftsbänder, nimmt für Verkaufszwecke westliche Musik auf Kassetten auf, überbringt gegen Entgelt Liebesbriefe.

© Razor Film
Sie meldet sich sogar für ein Koranwettbewerb an, bei dem ein hohes Preisgeld winkt.
Die wohlhabenden Eltern gehen liebevoll mit ihrer Tochter um und tolerieren ihre außergewöhnlichen Wünsche. Doch ihr Vater will eine zweite Frau heiraten, die ihm einen Sohn schenken soll.

Wadjda erlebt mit, wie dies das Herz ihrer Mutter zerbricht und sie versucht ihr beizustehen.
In Sachen Fahrrad gibt jedoch ein glückliches Ende, ein Happy End.

In dem Film sind staubige Stadtlandschaften zu sehen, laut hupende Autos, zu Gebetszeiten in Moscheen eilende Männer, gleißende Sonne, schattenartig vorbeihuschende Gestalten in schwarzen, bodenlangen Gewändern.

© Razor Film
Es wird ein Einblick in den strengen Schulalltag einer Mädchenschule gewährt. Den unmoralischen Verfehlungen der Schülerinnen folgen drastische Strafen. Aber es gibt natürlich auch Doppelmoral. Die offizielle Erklärung für einen  nächtlichen Besucher in der Wohnung der Schulleiterin lautet, das war ein Einbrecher!

Es ist schon erstaunlich, dass eine Frau in Saudi-Arabien Regie führen konnte. Haifaa Al Mansour musste sich bei den Dreharbeiten an die Sitten ihres Landes anpassen,  zum Beispiel Regieanweisungen aus einem Versteck heraus über ein Monitor zu geben. Die junge Waad Mohammed erbringt eine gute schauspielerische Leistung in der Rolle von Wadjda. Etwas schwierig war es für mich mit meinem nordeuropäischen Hirn das Leben in Saudi-Arabien zu begreifen, geschweige dann zu bewerten. Aber Das Mädchen Wadjda ist ein Film, der glücklich und nachdenklich macht. In Riad wird der Film nicht laufen, dort gibt es keine Kinos. Saudis können ihn nur im Fernsehen anschauen.



Kritiken der Anderen: Aspekte, 3Sat, Stuttgarter Zeitung, Taz