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Es muss nicht immer Shakespeare sein

12.04.2017

Zwei Stunden und vierzig Minuten Theater am Stück sind schon ein schwer zu verdauender Brocken, wenn man / frau nicht Castorf Fan ist. Doch das Ensemble der Schaubühne packt so etwas recht gut.
Das Stück "Toter Hund in der chemischen Reinigung: die Starken" ist trotzdem eine Herausforderung, sowohl intellektuell als auch wegen der Publikumsbeschimpfung. Als der Beifall aufbrandete, waren so nur noch 50% der Zuschauer vorhanden. Diese hatten allerdings einen spannenden Theaterabend erlebt.
Die Gegangenen hatten wohl, wie die Kritiker unten, keine Lust mit der Katastrophe der Lage in Europa und in der Welt konfrontiert zu werden. Es ist ja so viel netter die Augen zu verschließen und nicht nachzudenken.


Die Regisseurin Angélica Liddell  mochte es jedoch nicht uns im konsumtiven Dämmerzustand zu belassen.
Aber beim „Festival Internationale Neue Dramatik“ werden traditionell politische Stücke ausgewählt. Wer entspannenden DaDa Slapstick a la Herbert Fritsch suchte, war dort sowieso falsch.
Dass wir uns im Theater befanden und dass dies kein Freiraum in der Welt der kapitalistischen Ausbeutung ist, machte bei Beginn der Schauspieler / Hund klar. Er beschwerte sich bitterlich, dass die Direktion lieber ihn als Hund agieren lässt, denn ein echter Hund wäre teurer gekommen.
Und um schon mal etwas "Porzellan" zu zerschlagen, zertrümmert er mit seiner Axt (er wird sie im Verlauf öfter nutzen) mal einen Stuhl. Seine Rolle als Unsympat war damit festgeschrieben.
Die restlichen Personen in dem Waschsalon sind
- der Besitzer (er onaniert gerne in die Kleider der Kundinnen)
- seine als Hure arbeitende Schwester (sie fühlt sich als Missbrauchsopfer immer sowohl schuldig als auch zur Rache an den Männern berechtigt)
- eine Ex Lehrerin (sie wurde beim Sex mit einem minderjährigen Schüler erwischt)
- ein ehemaliger Museumswärter (er hatte zu viel Angst, dass die Kunst, die er bewachte, zerstört wird)
als Conférencier Combeferre (eine Figur aus Les Miserabeles von Victor Hugo)

Das Personal könnte gut aus dem politischen Roman von 1862 stammen. Es befindet sich jedoch in einer Zukunft nach dem Krieg, in dem Europa alle Feinde besiegt hat. Die Personen sind vereinzelt und auf sich selbst zurückgeworfen.
Als symbolischer Rückgriff auf die Zeit des Kampfes gegen den verschwenderischen Lebensstil und die Dekadenz des französischem Adels  hängt auf der Bühne eine riesige Reproduktion des Gemäldes Die Schaukel von Jean-Honoré Fragonard.

Das sich zwischen den Personen entwickelnde "Waschen von schmutziger Wäsche" dient aber mehr als Folie für die philosophischen Diskurse des Hundes.

© Gianmarco Bresadola
Der zitiert das Werk Der Gesellschaftsvertrag von Rousseau, in dem dieser das Konzept der bürgerlichen Demokratie entwickelte. Mit diesem ideologischen Rüstzeug zogen die Jakobiner in den Kampf gegen die Monarchie.
Auch Diderot kam zu Wort, ein weiterer Wegbereiter der französischen Revolution..

© Gianmarco Bresadola
Der hatte mit seinen Schriften das Ende der religiösen Hegemonie über unsere Gedanken besiegelt.
Sonst schimpfte der Hund und verließ mit den anderen SchauspielerInnen die Bühne für fünf Minuten, damit unwillige BesucherInnen ohne zu stören den Raum verlassen konnten.

Das Stück endet damit, dass eine Muslimin unsere ProtagonistInnen zu Europa befragt. Das hat seine Zeit hinter sich und dient nur noch als Steinbruch für eine neue Gesellschaft, die sich ankündigt.

© Gianmarco Bresadola
Bravo,- Angélica Liddell ist ein kluger Abgesang auf den Kapitalismus und Europa gelungen.

Die SchauspielerInnen:
Der Hund: Damir Avdic
Getsemani (Hure): Iris Becher
Octavio (Waschsalonbesitzer): Ulrich Hoppe
Combeferre (Spielleiter): Renato Schuch
Lazar (Museumswächter): Lukas Turtur
Hadewijch (Lehrerin): Veronika Bachfischer
Susana (Kopftuchträgerin): Susana AbdulMajid

Kritiken der Anderen: Nachtkritik, Berliner Zeitung, Tagesspiegel, Deutschlandfunk, Süddeutsche Zeitung, Kulturradio, Freitag,

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